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Matthias Vesely

Hallo liebe Besucherin, lieber Besucher,

ich war nicht immer in der Suchthilfe tätig. Von meiner Jugend bis ins Alter von 29 Jahren betäubte ich regelmäßig meine seelischen Probleme und steckte immer tiefer im Sumpf der Abhängigkeit. So weit, bis sogar das Ausnüchtern lebensgefährlich wurde. Ich habe mich am 20.5.2018 in eine Drogenentzugsklinik einweisen lassen. Sieben Tage verbrachte ich im geschlossenen Entzug. Danach folgten 14 Tage qualifizierten Entzugs. Nachdem das Gift aus meinem Körper war, ich aber immer noch nicht wusste, wie ich meine inneren Themen ohne Drogen anpacken sollte, vergingen lange sechs Wochen Zuhause, bevor ich in der Fachklinik für Suchterkrankungen zur Entwöhnungstherapie antreten durfte. In dieser Wartezeit rutschte ich wieder tief in die Depression. Gott sei Dank bin ich konsequent geblieben und bin dem Alkohol und anderen Substanzen in dieser Phase fern geblieben. Lange hätte es nicht mehr gedauert und ich wäre wieder drin gewesen, und das Leid hätte von vorne begonnen.

Wenn Dich meine Geschichte interessiert und Du mehr darüber erfahren möchtest lies unten einfach weiter.

Aus meinem Leben

Ich möchte dich mit einem Ausschnitt aus meinem gerade entstehenden Buch in ein relativ normales Wochenende im Jahr 2018 mitnehmen, einige Monate bevor ich mich in den Alkoholentzug habe einweisen lassen:

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... Es ist Samstagnachmittag. Wache mit nasskalter Hose auf der Couch meiner Stadtwohnung auf. Habe mich wieder im Rausch eingepisst. Mich friert es. Ich fühle mich eklig. Aber ich kann noch nicht aufstehen. Es geht einfach nicht. Bin zu fertig, also bleibe ich noch eine Weile in meiner eigenen Pisse liegen. Schmecke Anis und Aschenbecher und es würgt mich. Ich habe echt Sehnsucht nach dem Abend, an dem ich Arschloch mal nichts trinke. Ich laufe auf der Stelle und komme nie an.

Ich schaue mich um. Das Wohnzimmer gleicht einer Bar nach der Sperrstunde. Fuck, wie viele Leute waren gestern hier?! War wieder gut dabei. Besoffen und High habe ich Engelchen auf meinem Teppich gemacht. Mein Pegel war fernab von riskantem Trinken. Seit Monaten spiele ich Russisches Roulette mit meinem Leben. Das Aufräumen wird Stunden dauern, also verschiebe ich es auf jeden Fall schon mal auf die Arbeitswoche. Zum Aufräumen fehlt mir einfach die Kraft. Im Teppich stecken ausgedrückte Zigarettenstummel. Der Tisch ist klebrig von verschüttetem Bier und bildet mit der überall verteilten Zigarettenasche eine harte, ekelhafte Masse. Dutzende leere Flaschen liegen im Raum verstreut. Mein Blick schweift weiter über den Tisch. Der Anblick des billigen Gins und die Erinnerung an den reudigen Geschmack lässt mich im selben Moment kotzen. Ich schaffe es nicht mal aufzustehen. So plötzlich kommt es mir hoch. So liege ich jetzt da wie ein Schwein in seinem eigenen Auswurf. Tortuga. Ich krieche von der Couch auf den Boden und dann Richtung Toilette. Ich fühle mich hilflos. Ich habe Angst. Vor was, weiß ich nicht genau. Mein Kopf dreht sich. Ich schwitze. Ich habe Schmerzen im unteren Bauch. Die Lunge brennt. Im Bad angekommen hänge ich mich zuerst über die Schüssel. Dann lasse ich Wasser in die Badewanne ein, um mich zu waschen. Die Scham bekomme ich jedoch nicht abgewaschen. Ich schäme mich zutiefst für mich selbst. Dann passiert etwas, was mir oft beim Ausnüchtern passiert: Katergeilheit hat es mal ein Freund von mir treffend betitelt. Ich bekomme aus dem Nichts eine Latte. Was ist los mit mir? So fühle ich mich im übertragenen Sinne nicht mehr ganz so klein und nichtig. Das letzte, noch Verbliebene an männlichem Stolz. Die einsame Latte eines Alkoholikers, der sich selbst hasst und nach Liebe schreit.

Am späten Nachmittag glaube ich, stabil zu sein. Deswegen gehe ich die Treppe runter zum Asiaten direkt nebenan und hole mir Nudeln. Als ich wieder in meiner Altbauwohnung im dritten Stock ankomme, pumpt mein Herz so stark, dass ich glaube, es springt mir gleich aus der Brust. Ich bekomme einen plötzlichen Schweißausbruch. Meine Knie sind Wackelpudding. Die Nudeln bleiben nicht lange in meinem Magen. Gleich darauf erbreche ich mich erneut. Kurz darauf nochmal. Und wieder. So geht das jetzt eine ganze Weile. Mein Magen behält nichts mehr. Nicht mal Wasser. Ich kotze nur noch bittere Gallenflüssigkeit. Schmerzen in den Bauchmuskeln. Verursacht vom ständigen Würgereiz und den Kontraktionen. Ich höre meinen lauten Herzschlag. Fühle den Puls in meinem Kopf. Er quält mich. Mir laufen Tränen über die Wangen. Ich weine und spucke Galle. Durch meine feuchten Augen sehe ich alles nur noch verschwommen. Mein Körper zittert wie Espenlaub. Ich fange an mir selbst leid zu tun. Mir ist, als ob ich in diesem Moment neben mir stehe und mich dabei beobachte - ich sehe dieses Wrack und kann nichts tun. Ich kann nicht mehr. Bin am Ende. Liege seit Stunden im Bad vor der Toilettenschüssel. Erschöpft. Verwirrt. Orientierungsstörungen. Weinerlich. Bin alleine. Bin einsam. Schließlich schlafe ich auf dem kleinen runden Teppich vor der Toilettenschüssel in Embryostellung, mit den Händen zwischen den Oberschenkeln zusammengelegt, ein.

Fünf Stunden später wache ich im fensterlosen Badezimmer in der gleichen Haltung auf, wie ich eingeschlafen bin. Die einzigen Fenster der Altstadtwohnung befinden sich auf der Südseite zur Straße hin. Dicke Wände und gut isolierte Fenster schirmen den Trubel der quirligen Stadt ab. Im Badezimmer kann ich also weder anhand der Lichtverhältnisse noch anhand des Straßenlärms bestimmen, wie spät es ist. Ich ziehe mich an der Toilettenschüssel hoch und raffe mich auf. Ich lasse einen langen, dickflüssigen und orangefarbenen Faden Spucke in die Toilette abseilen, drücke die Spülung an der Wand und stütze mich an ihr so lange ab, bis mein Kreislauf wieder einigermaßen stabil ist und sich das Schwarz vor meinen Augen aufgelöst hat...

Ich möchte anmerken, dass ich immer in Vollzeit arbeiten war, eine abgeschlossene Ausbildung und zahlreiche Lehrgänge absolviert habe usw. . Ich besitze einen Führerschein, den ich nie abgeben musste. Mit 23 wurde ich Vater eines fantastischen Jungen und habe sieben Jahre eine Beziehung mit der Mutter des Jungen aufrecht erhalten. Alles war nach außen hin normal. Außer meine Art der Problemlösung und der damit einhergehende Alkohol- und Drogenkonsum. Auch nach dem oben beschriebenen Wochenende stand ich montags in der Arbeit. Wie, könnt ihr euch vorstellen, aber ich war arbeiten. Auch deswegen, weil ich eben funktioniert habe und nicht über meine Probleme mit anderen sprach, blieb das intime Leid in diesen so zahlreichen Stunden der Einsamkeit ungeteilt und vor den Augen meiner Mitmenschen verborgen. Alleine unter Vielen. Ich habe mich so sehr dafür geschämt. Ich legte meinen "Fehler" als Charakterschwäche aus. Ich glaube, so ergeht es vielen. Die Menge und Art der konsumierten Drogen spielen nicht wirklich eine Rolle. Es ist die gefühlte Ohnmacht gegenüber der eigenen Gefühlswelt und die bereits erwähnte, selbstgewählte toxische Strategie, mit Problemen umzugehen. Welcher Art diese Probleme auch immer sein mögen.

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